Pausengespräch – 20 Minuten aus der Semperoper Dresden

Pausengespräch – 20 Minuten aus der Semperoper Dresden

»Es gibt viele Alberiche heute«

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Der Abschluss des Dresdner »Ring des Nibelungen« jährt sich 2023 zum 20. Mal. Regisseur Willy Decker blickt im Pausengespräch auf die Zeit der Inszenierungen der vier Opern 2002/03 und seine Konzeption von Wagners vielgestaltigem Werk zurück.

Willy Decker ist einer der bedeutendsten Regisseure, der an allen großen Häuser inszenierte. An der Semperoper tauchte er seit den 1990er Jahren immer wieder auf dem Spielplan mit Opern wie Zimmermanns »Die Soldaten«, Reimanns »Lear« oder Mozarts »Don Giovanni« auf und bestimmte daher das ästhetische Geschehen an der Semperoper entscheidend mit.

Im Vordergrund seiner Arbeit an den vier Opern des »Ring des Nibelungen« in Dresden steht für den Regisseur das Parabelhafte von Wagner opus summum, in dem sich Bezüge sowohl zur realen Situation der Gesellschaft vor 20 Jahren als auch zu den aktuellen Ereignissen 2023 herstellen lassen.

Der »Ring« gehört für Willy Decker zu den Werken, mit denen man als Regisseur niemals abschließt, etwas, das immer im Fluss ist. Die Arbeit von vor 20 Jahren hat in Willy Decker einen noch ganz anderen Menschen gefunden, als er heute ist. Und auch wenn er heute vielleicht andere Bilder und Begriffe verwenden würde, bleibt die grundsätzliche Essenz seiner Arbeit doch dieselbe. Dabei lassen sich seine Ideen auch mit unserer heutigen Wirklichkeit, bis hin zum Krieg Putins gegen die Ukraine verbinden und finden in Wagners parabelartigen Werk um entmenschlichte Profit- und Machtgier einen beängstigend aktuellen Ausdruck. Der Griff nach dem Rheingold, einer (goldenen) Weltkugel in Deckers Inszenierung, wird sprichwörtlich zum Griff nach der Macht und die Kugel zu einem durchgehenden omnipräsenten Symbol.

Die ästhetische Ausgestaltung des Dresdner »Ring« geht auf eine Grundidee zurück, die Willy Decker tatsächlich in Dresden, beim Besuch einer »Rosenkavalier«-Probe kam. Die Erkenntnis, dass sich auf dem Theater die Dinge in Subjekt und Objekt, in Betrachter und Betrachtetes spalten, brachten Decker und sein Team mit Wolfgang Gussmann und Frauke Schernau auf die Idee der Theater-auf dem Theater-Situation samt Theaterstuhlreihen und Guckkastenbühne, die sich in abgewandelter Form durch alle vier Opern zieht. Das Prinzip der Einteilung überträgt Decker dabei auch auf die Figuren des »Ring«, die sich in Handelnde und Betrachtende bzw. Verharrende scheiden. Decker beobachtet dabei auch die Tendenz, dass im Verlauf der Tetralogie immer mehr gehandelt wird. Es löst sich immer mehr aus dem Konzeptionellen, aus den Ideen und aus den Ideologien.

Die Rolle der Musik ist für Decker eine entscheidende im Verständnis des »Ring« und des Genres Oper überhaupt. Musik ist innerster Inhalt dessen, was ein Regisseur auf der Bühne macht – ein Musikmachen mit Bildern, könnte man das Regieführen nennen. Wagners Leitmotivik ist da ein hervorragender roter Faden.

In der Lösung der Problematiken des »Ring« arbeitete Decker vor allem den Kampf bzw. das Ringen eines weiblichen gegen ein männliches Prinzip heraus, das er sowohl in kontemplativen Figuren wie Erda, aber vor allem in aktiv handelnden Figuren wie Brünnhilde im Gegensatz zu den in Machtgier gefangenen männlichen Protagonisten wie Wotan oder Alberich sieht. Als die »Agonie der Männlichkeit« bezeichnet der Regisseur den Grund für den Untergang des männlichen Prinzips im »Ring«. Der damit einhergehende Untergang der Götter, die Götterdämmerung, betrachtet Decker aber auch als eine Chance auf etwas Neues, eine neue Welt, eine neue Chance, etwas besser zu machen. Es ist ein »allumfassendes Welttheater«, was Wagner da auf die Bühne gestellt hat und das lässt den Regisseur Willy Decker bis heute nicht los.


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Über diesen Podcast

Ein Pausengespräch ist fast so spannend wie die Vorstellung selbst: Man tauscht sich über das Gehörte und Gesehene aus, stellt sich Fragen, erfährt Interessantes, manchmal auch Skurriles. In unregelmäßigen Abständen treffen sich Mitarbeiter*innen und Gäste aus der Welt der Semperoper für die Dauer einer Vorstellungspause und sprechen über aktuelle Themen, Besonderheiten des Opernbetriebes, Musik und Theater und alles, was dazu gehört.

von und mit Semperoper Dresden

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