»Ein biblischer Mythos, ganz nah«
Mitten aus dem Probenprozess berichtet Regisseur Immo Karaman von der Arbeit an der Uraufführung von Torsten Raschs Oper »Die andere Frau«. Die im Januar 2022 uraufgeführte Oper hatte eine lange Planungsphase hinter sich, die bis 2016 zurückreicht und in deren Verlauf auch eine Aufführung im Residenzhof geplant gewesen war. Aus diesem Gedanken heraus entstand eine Aufführungskonzeption, die für die Zuschauer einen Perspektivwechsel ermöglichte: In »die andere Frau« sitzen die Zuschauer auf der Bühne der Semperoper und schauen in den leeren Saal des Opernhauses.
Immo Karaman beschreibt anschließend, welche Erfahrungen das Regieteam mit dem ungewöhnlichen Bühnenraum gemacht hat, den schmalen, von rechts nach links ansteigenden Steg, den Arne Walter in das Portal der Bühne gebaut hat. Der Steg ist eine Metapher für den Weg der Figuren, für ein Sich-Behaupten Müssen und für Wanderung und Flucht. Flucht, so betont der Regisseur, ist das große Thema des Stückes, und die Figuren sind ständig unterwegs, zwischen dem Verlassen der Heimat verlassen und dem Erreichen eines Zieles. Der Steg erzwingt aber auch durch seine Enge bestimmte Arten der Bewegung der Darsteller, mit gravierenden Folgen für die Erzählweise der Inszenierung.
Der Regisseur beschreibt dann die verschiedenen Ebenen der Aufführung: einerseits der Steg mit den Sänger*innen, das Orchester dahinter uns schließlich der Zuschauerraum als Spielort mit Projektionen des Videokünstlers Laszlo Bordos. Inmitten des leeren Zuschauerraumes steht die iranisch-amerikanische Sängerin Sussan Deyhim, die als »Augenzeugin« in der Aufführung ein »Kosmos für sich ist«, der sich der Inszenierung geradezu entzieht.
Am Ende Gesprächs reflektiert Immo Karaman über sein Verhältnis zu den Figuren des Dramas. Es ist seine Aufgabe als Regisseur, Mitgefühl mit allen Figuren aufzubauen und sie verstehbar zu machen, indem man auf den Proben in ihre Psychen eindringt. Wesentlich ist für den Regisseur, zu eruieren, woher kommen die Aggressionen, von denen das Drama handelt, woher kommt die Gewalt, die wir in einem Stück erleben? Im Prozess des Inszenierens versuch er, die Verletzungen und Ängste von Figuren aufzuspüren.
Das Gespräch fand am 19. Januar 2022 statt.
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