Die Raum-Erfinderin
Heike Scheele gehört zu den renommiertesten Bühnenbildnerinnen der europäischen Theaterszene. Für Vera Nemirovas Inszenierung von »Don Carlo« hat sie einen gewaltigen Bibliotheksraum gebaut. Im Gespräch mit Dramaturg Kai Weßler berichtet sie, wie ihre wandlungsfähigen Räume entstehen.
Heike Scheele, die an der Semperoper Dresden u.a. das Bühnenbild zu »Don Carlo« gestaltet hat, berichtet am Tag nach der Technischen Einrichtung, wie es ist, wenn eines ihrer Bühnenbilder zum ersten Mal von Darsteller*innen bespielt wird. Sie versteht ihren Raum, eine gewaltige Kloster-Bibliothek, als Wissens-Raum, als einen Ort, an dem Wissen und damit Macht über Gedanken, zusammengetragen wird. »Don Carlo« spielt in diesem Wissen-Macht-Zentrum, in dem die Bücher zugleich für Macht wie für Gedankenfreiheit stehen.
Die Bühnenbildnerin erläutert aber auch, wie die 5200 Bücher mit den Mitteln der Theaterkunst hergestellt worden sind, in welchem Verhältnis echte Bücher und Styropor-Imitate dabei stehen und wie Geheimfächer und Geheimtüren im Bühnenbild versteckt sind. Für Heike Scheele entstehen solche Räume in enger Zusammenarbeit mit ihren Regisseur*innen. Sie versteht ihre Bühnenbilder nicht als etwas Fertiges, sondern als Voraussetzung dafür, dass in den Räumen Theaterspiel entstehen kann.
Sie erklärt dann, welchen Weg ein Bühnenbild von den ersten Ideen über ein Modell im Maßstab 1:25 (»Da kann man die Atmosphäre der Bühne bereits erkennen.«) über Technische Zeichnung bis zu den fertigen Kulissen nimmt. Heike Scheele ist bekannt für ihre Bühnenbilder, die wie Zauberkästen funktionieren, weil sie sich ständig verändern. Für sie ist diese ständige Veränderung ein Bild für unser Leben und unsere Wahrnehmung im Allgemeinen.
Die größte Veränderung im »Don Carlo«-Raum findet während der Pause statt: Im Autodafé des zweiten Aktes, dem in der Oper zentralen Glaubensakt, bei dem die Ketzer ihren Gedanken abschwören müssen, werden die Bücher verbrannt und die Bibliothek vernichtet. Aus der Bibliothek wird so ein Gefängnisraum.
Zuletzt berichtet Heike Scheele von dem langen Weg, den ihr Bühnenbild zurückgelegt hat: Ursprünglich für die osterfestspiele Salzburg gebaut, blieben die Kulissen im Corona-Lockdown 2020 für mehrere Wochen im dortigen Festspielhaus eingeschlossen. Mit zweijähriger Verzögerung werden sie bei der Dresdener Premiere zum ersten Mal endlich in einer Aufführung zu sehen sein.
Das Gespräch fand am 7. Oktober 2021 statt.
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